Geißblatt

… Besonders im Sommer ist solch ein Siestaschlummer unzuträglich. Und gar bei offenem Fenster, wehrlos ausgesetzt dem Abgleiten in längst dahingegangene Juninachmittage: Duft aus Gärten, die es nicht mehr gibt. Auf den geschlossenen Lidern ein Licht, das durch andere Bäume gefiltert ist. Jalousiengedämpft ein Klang: die wunderlich friedvolle Polyphonie von ein paar Klavieren, auf denen nüchterne Kinderhände üben; Czerny, Clementi, vielleicht die Sonata facile mit unhastigen, trockenen Fehlgriffen, die sich stets wiederholen. Nicht quälend. Vielmehr von einem eigenartig bestrickenden, die Nerven befriedenden Zauber, den es heute auch nicht mehr gibt. Dazu ein Duft. Flieder und Akazien, Jasmin und Geißblatt. Besonders die süße, vulgäre Wildheit des Geißblatts. Und alles in einem besonderen Licht, das durch die gestreiften Markisen den Raum in ein Goldbraun taucht, das verhalten knistert wie ein Tierfell.

– Inge Merkel

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